“Zu uns kommen Personen, die eine Rente von 800 EUR bekommen und einen Beitrag von 500 EUR bezahlen“
Gespräch mit Daniela Hubloher über die Krankenversicherung in Deutschland. Sie ist zuständig für die Patientenberatung bei der Verbraucherzentrale Hessen e.V. in Frankfurt.
Frau Hubloher, Welche typischen Fragen werden bei Ihnen in den Beratungsgesprächen gestellt?
Wir beraten u.a. bei Problemen mit der Krankenversicherung, z.B. wegen Leistungsablehnung, bei Problemen mit falschen Arztrechnungen, aber auch bei Schwierigkeiten mit den sog. „Individuellen Gesundheitsleistungen“, also Leistungen beim Arzt, für welche die Krankenkassen nicht leistungspflichtig sind.
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„Bei einer Leistungsablehnung der Krankenkasse kann man Widerspruch einzulegen“
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Was sollte man machen, wenn z. B. eine Leistung vom Arzt befürwortet wird, aber von der Krankenkasse abgelehnt wird?
Die Ablehnung der Krankenkasse sollte man sich auf jeden Fall schriftlich geben lassen. Danach hat man eine Frist von einem Monat, um schriftlich Widerspruch einzulegen. Wenn man Widerspruch einlegt und ihn gut begründen kann, hat man oft Erfolg.
Ist in Deutschland eine Krankenversicherung für jeden Bürger überhaupt pflichtig?
Ja, seit 2007, bzw. 2009 besteht in Deutschland Krankenversicherungspflicht. Das bedeutet leider auch, dass jemand, der sich verspätet meldet, Krankenkassenbeiträge rückwirkend bezahlen muss. Das gilt nicht nur für Migranten: es gibt auch immer noch Deutsche, die nicht krankenversichert sind. Das Gute dabei: wenn eine Person krankenversichert ist und die Beiträge nicht bezahlen kann, wird sie/er heute nicht mehr aus der Krankenkasse, bzw. Krankenversicherung automatisch rausgeschmissen. Man kann also immer zurückkommen.
Wie lange gilt die „Europäische Krankenversicherungskarte“ wenn jemand z.B. aus Spanien oder Portugal nach Deutschland kommt und hierbleiben will?
Die Antwort ist nicht einfach, denn die „Europäische Krankenversicherungskarte“ ist eigentlich für vorübergehende Aufenthalte im EU-Ausland gedacht, z. B. wenn jemand im Urlaub ist, damit diese Person aufgrund eines Unfalls oder einer Erkrankung ihren Urlaub nicht abbrechen muss, sondern vor Ort behandelt werden kann.
Bei der „Europäischen Krankenversicherungskarte“ muss erstmal geklärt werden, ob sie oder er weiterhin im Heimatland versichert ist. Bei Studenten kann die Europäische Krankenversicherungskarte länger gültig sein, wenn sie/er in dem Heimatland an der Uni angemeldet ist. Aber, wie gesagt, normalerweise ist die Europäische Krankenversicherungskarte nur für vorübergehende Aufenthalte im EU-Ausland gedacht.
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„Wenn jemand aus dem Ausland nach Deutschland kommt, um hier zu bleiben, ist er ab sofort krankenversicherungspflichtig“
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Was passiert aber, wenn jemand aus Spanien kommt, um hier zu arbeiten. Er lernt erstmal Deutsch und sucht danach einen Job. Ab wann muss er krankenversichert sein?
Wenn jemand aus dem Ausland kommt und sich hier niederlässt, gibt es 2 Möglichkeiten: entweder hat er eine Angestelltentätigkeit (verdient mehr als 450 EUR im Monat), dann ist er krankenversicherungspflichtig und zwar im gesetzlichen System. Wenn ein Spanier hierherkommt und hauptberuflich selbstständig ist, dann muss man klären, ob er in Spanien gesetzlich versichert war und ob er eine Vorversicherungszeit von mindestens 12 Monaten am Stück (oder 24 Monaten in den letzten 5 Jahren) vorweisen kann. Dann wird hier sie/er so bewertet, als wäre sie/er in Deutschland gesetzlich krankenversichert gewesen und derjenige kann sich bei einer gesetzlichen Krankenkasse freiwillig versichern lassen. Er muss sich also nicht unbedingt privat versichern. Das gilt andererseits leider nicht für jemanden, der z.B. direkt aus Südamerika kommt und hauptberuflich selbstständig ist, derjenige muss sich normalerweise privat versichern.
Und was passiert, wenn ein Spanier schon 3 Monate in Deutschland lebt und immer noch keinen Job und keine deutsche Krankenversicherung hat?
Es gibt keine Frist, die zu beachten wäre. Wenn jemand aus dem Ausland nach Deutschland kommt, um hier zu bleiben, ist er ab sofort krankenversicherungspflichtig – spätestens, wenn er hier einen offiziellen Wohnsitz gemeldet hat.
Könnten Sie den Unterschied zwischen gesetzlicher und privater Krankenversicherung grundsätzlich erklären?
Die gesetzliche Krankenversicherung ist – im Gegensatz zu der privaten Krankenversicherung – ein Solidarsystem. Jeder zahlt einen prozentualen Beitrag entsprechend seines Einkommens – egal ob man reich oder arm, alt oder jung, krank oder gesund ist. Bei der privaten Krankenversicherung zahlt der Versicherte einen Beitrag für sein individuelles Risiko, hier spielt es also eine Rolle, wie alt man ist und ob man gesund ist. In der gesetzlichen Krankenversicherung sind z. B. Angestellte, Rentner und Studenten versichert. Angestellte, die über mehr als 56.250 EUR brutto Jahreseinkommen (2016) verfügen oder hauptberuflich Selbstständige dürfen in die private Krankenversicherung.
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„Das große Plus der gesetzlichen Krankenversicherung ist die beitragsfreie Familienversicherung“
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Falls man die Wahl hat: Welche von beiden Krankenversicherungen ist „günstiger“?
In jüngeren Jahren sind die Versicherungsbeiträge bei privaten Krankenversicherungen in der Regel niedriger als in der gesetzlichen Krankenversicherung, vor allem, wenn jemand gut verdient – aber: mit zunehmendem Alter steigt der Beitrag. Nach einer Umfrage unter den Lesern der Stiftung Warentest verdoppelt sich im Durchschnitt der Beitrag ca. alle 12 Jahre. Wir haben Fälle, bei denen ein Rentner 800 EUR bekommt und einen Krankenversicherungsbeitrag von 500 EUR bezahlen muss. Vielfach kommen Verbraucher zur Beratung, die über 50 Jahre sind und uns sagen, dass ihnen der Krankenversicherungsbeitrag zu teuer ist. Sie bezahlen oft 700-800 EUR im Monat oder über 1000 EUR für die ganze Familie. Wenn jemand älter als 55 Jahre ist, kann er in der Regel nicht mehr in die gesetzliche Krankenversicherung zurück. Bei der gesetzlichen Krankenversicherung muss ein Rentner lediglich ca. 7,3 % von der Rente plus Zusatzbeitrag bezahlen.
Das große Plus der gesetzlichen Krankenversicherung ist außerdem die Familienversicherung. Wenn der Ehepartner oder die Kinder kein eigenes oder ein geringes Einkommen haben, sind sie in der gesetzlichen Krankenversicherung beitragsfrei mitversichert.
Wer entscheidet eigentlich über die Wahl der gesetzlichen Krankenkasse, der Arbeitnehmer oder der Arbeitgeber?
Der Arbeitnehmer kann in den ersten zwei Wochen einer Anstellung entscheiden, in welcher Krankenkasse er versichert sein möchte, nach zwei Wochen würde er sonst vom Arbeitgeber bei irgendeiner Krankenkasse angemeldet werden.
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„Die Krankenkassen unterscheiden sich in der Höhe des Zusatzbeitrages und in den Zusatzleistungen“
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Sind die Beiträge der gesetzlichen Krankenkassen alle gleich?
Zum 1. Januar 2015 wurde der allgemeine gesetzliche Beitragssatz auf 14,6 Prozent festgelegt. Arbeitgeber und Arbeitnehmer teilen sich den Beitrag je zur Hälfte mit einem Anteil von 7,3 Prozent. Darüber hinaus dürfen die Krankenkassen einen Zusatzbeitrag prozentual vom beitragspflichtigen Einkommen berechnen. Arbeitnehmer zahlen den Zusatzbeitrag alleine – also ohne Beteiligung des Arbeitgebers. Zum 1. Januar 2016 haben viele gesetzliche Krankenkassen diesen Zusatzbeitrag erhöht. In der Höhe des Zusatzbeitrages unterscheiden sich jetzt die Krankenkassen.
Darf man die Krankenkasse einfach wechseln?
Prinzipiell hat man die freie Wahl der Krankenkasse, spätestens nach 18 Monaten kann man die Krankenkasse wechseln, bei Erhöhung des Zusatzbeitrags auch früher. Das geht leicht und ist ohne Risiko für den Versicherten. Die Kündigungsfrist beträgt zwei Monate.
Unterscheiden sich die gesetzlichen Krankenkassen auch in ihren Leistungen?
Die Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung in Deutschland sind im Sozialgesetzbuch festgeschrieben und bei allen gesetzlichen Krankenkassen gleich. Zusätzlich zu den gesetzlich festgeschriebenen Leistungen werden jedoch von den Krankenkassen freiwillige Leistungen angeboten, wie z.B. Zuschüsse zu Osteopathie oder Homöopathie, zu professioneller Zahnreinigung oder zu pflanzlichen Arzneimitteln. Als Extraleistung wird auch ein über den gesetzlichen Rahmen hinausgehender Anspruch auf Haushaltshilfe bei schwerer Erkrankung, wenn Kinder im Haushalt leben, angeboten. Weitere Kriterien für die Wahl einer Krankenkasse sind der Service, wie Geschäftsstelle in der Nähe, Servicetelefone zur Terminvereinbarung beim Facharzt, telefonischer Auskunfts- und Beratungsdienst (eventuell in der Muttersprache) etc.
Übersetzung: Blasco Traducciones http://www.blasco-traducciones.com/
Dieser Beitrag ist in der Ausgabe Nr. 57 der Zeitschrift La Guia de Frankfurt/RheinMain erschienen.
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