„Leider kann man Ärzten nicht immer blind vertrauen“
Migranten haben besondere Schwierigkeiten im Umgang mit Ärzten und medizinischem Personal u.a. aufgrund der Sprachbarrieren und der kulturellen Unterschiede oder weil sie das System einfach nicht verstehen. Ein Gespräch mit Daniela Hubloher über Patientenrechte, Termine beim Arzt und die Problematik des Gesundheitssystems in Deutschland. Frau Hubloher ist zuständig für die Patientenberatung bei der Verbraucherzentrale Hessen e.V. in Frankfurt.
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Frau Hubloher, was sind IGe-Leistungen und warum sollte man in diesem Zusammenhang als Verbraucher und Patient gut informiert sein?
IGe-Leistungen (Individuelle Gesundheitsleistungen, kurz IGeL) sind Leistungen, die von den gesetzlichen Krankenkassen nicht übernommen werden, entweder weil diese Untersuchungen und Behandlungen umstritten sind – es ist unsicher, ob sie sinnvoll und nützlich sind – oder weil sie nicht zum Aufgabenspektrum der Krankenkassen gehören. Das Problem bei diesen Leistungen ist: Ärzte verdienen daran, Patienten sind in diesem Moment quasi Privatpatienten. Patienten wissen oft nicht, ob Ärzte diese Untersuchungen oder Therapien aus eigenem finanziellem Interesse anbieten oder weil sie wirklich gut für die Patienten sind.
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Wie sollte man sich als Patient in solchen Fällen verhalten?
Sie können als Patient aufstehen und gehen, denn wenn eine solche Leistung sofort medizinisch notwendig wäre, müsste sie eine Leistung der Krankenkassen sein. Man kann sich dann bei einem anderen Arzt, bei der Krankenkasse oder bei der Verbraucherzentrale informieren. Sehr häufig angebotene IGe-Leistungen sind der PSA-Test beim Mann oder die Ultraschallunter-suchungen der Gebärmutter und der Eierstöcke bei der Frau.
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Es gibt anderseits viele Leistungen, die von Krankenkassen angeboten werden, jedoch von vielen Patienten, insbesondere von Migranten nicht in Anspruch genommen werden, weil sie unbekannt sind.
Man muss erstmal wissen, dass ca. 95 % der Leistungen der Krankenkassen in dem Sozialgesetzbuch V festgeschrieben und für alle Krankenkassen gleich sind. Wenn Sie zum Arzt oder ins Krankenhaus gehen, und Behandlungen bekommen, z.B. Zahnersatz etc. können Sie als Patient bei allen Krankenkassen die gleichen Leistungen erwarten. In den restlichen 5 % unterscheiden sich die Krankenkassen. Es sind freiwillige Leistungen, die in den Satzungen der Krankenkassen festgelegt werden. Diese zusätzlichen Leistungen können z.B. interessant sein für Senioren und chronisch Kranke oder für Familien mit Kindern. Sie können ein wichtiges Kriterium sein bei der Auswahl der Krankenkasse.
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Können Sie ein Beispiel nennen?
Viele Krankenkassen bieten z.B. ein Zweitmeinungsverfahren. Wenn der Arzt operieren will, kann sich der Patient eine zweite Meinung von einem Arzt der Krankenkasse einholen, um zu prüfen, ob die Operation wirklich notwendig ist. Gerade bei Knie- und Rückenoperationen ist es bekannt, dass in Deutschland zu viel operiert wird. Eine Zweitmeinung einzuholen ist heutzutage normal. Man kann aber auch von sich aus mit seinem Krankenkassenkärtchen zu einem anderen Arzt gehen, um sich eine Zweitmeinung einzuholen.
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Zahnersatz kann für den Patienten enorm teuer sein. Wie kann man beim Zahnersatz Geld sparen?
Wichtig bei ausgedehnterem Zahnersatz ist es, sich 2-3 Kostenvoranschläge zu holen. Wenn die Behandlung mehrere Tausend Euro kosten soll, dann lohnt es sich gegebenenfalls, 40-50 EUR für einen Kostenvoranschlag zu zahlen (obwohl die Verbraucherzentrale die Meinung vertritt, dass Kostenvoranschläge kostenlos sein sollten). Viele Krankenkassen kooperieren mit bestimmten Zahnärzten, dadurch kann Zahnersatz günstiger sein. Man kann die eigene Krankenkasse fragen, ob sie diese Kooperation anbietet, sie nennt sich z.B. „Zahnersatz ohne Zuzahlung“. Das kann auch ein Kriterium sein, nach dem man sich die Krankenkasse aussucht. Wählt man dann die einfachste Versorgung, die sog. Regelversorgung und hat ein Bonusheft – das heißt, dass man jahrelang regelmäßig mindestens einmal im Jahr beim Zahnarzt war – dann muss man nichts für den Zahnersatz dazuzahlen. Es gibt leider zu wenige Beratungsstellen, wo man sich unabhängig beraten oder gar begutachten lassen kann. Man kann sich allgemein bei der Verbraucherzentrale beraten lassen, aber wir haben leider keinen eigenen Zahnarzt, der Beratungen vornehmen kann.
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Welche anderen Leistungen kann man von den Krankenkassen noch bekommen?
Krankenkassen müssen Präventionskurse anbieten bzw. bezuschussen, im Bereich Bewegung, zum Beispiel Yoga, Tai-Chi, im Bereich Entspannung, z.B. autogenes Training, im Bereich Ernährung und im Bereich Suchtentwöhnung, z.B. Rauchentwöhnung. Es gibt auch Angebote für Schwangere und Mütter, zum Beispiel ein Bereitschaftsdienst mit Hebammen, die im Notfall nach Hause kommen etc.
Nach einem Krankenhausaufenthalt oder bei einer schweren Erkrankung hat man die Möglichkeit, eine Haushaltshilfe zu beantragen, die von der Krankenkasse bezahlt wird, wenn man nachweisen kann, dass zuhause niemand sonst den Haushalt führen kann. Das gehört zu den gesetzlichen Leistungen der Krankenkassen, aber manchmal wird es von der Krankenasse abgelehnt. In solchen Fällen sollte man sich die Ablehnung schriftlich geben lassen – nicht einfach so mal am Telefon. Dann kann man dagegen Widerspruch einlegen. Der Patient kann sich dann z. B. bei der Verbraucherzentrale beraten lassen, wie man den Widerspruch verfassen kann.
Wie beurteilen Sie die Qualität der ärztlichen Versorgung in Deutschland mit dem System der gesetzlichen und privaten Krankenkassen?
Das Gesundheitssystem in Deutschland ist ein kompliziertes System, in dem viele Akteure starke eigene finanzielle Interessen haben. Es ist ein System, bei dem man leider Ärzten nicht immer blind vertrauen kann. In den Kliniken, aber auch in den Praxen der niedergelassenen Ärzte gibt es starke wirtschaftliche Interessen. Heutzutage sollte ein Patient sehr gut informiert sein, gute Aufklärung vom Arzt einfordern, um gemeinsam mit dem Arzt Entscheidungen zu treffen.
Wenn jemand eine Praxis anruft, um einen Termin beim Arzt zu bekommen, hört man oft, dass der Privatpatient schneller einen Termin bekommt als der gesetzliche Patient.
Es gibt sehr viele Ungerechtigkeiten im System. Privatpatienten bekommen oft schneller Termine, weil der Arzt mehr Geld dafür bekommt. Wichtig ist zu wissen: wenn Patienten versuchen, einen Termin beim Arzt zu bekommen, muss man immer sagen, wenn man akute Beschwerden hat und sofort vom Arzt behandeln werden muss. Die Antwort: „wenn es so dringend ist, dann gehen Sie zum Notfalldienst“, sollte der Patient nicht gelten lassen, denn der ärztliche Bereitschaftsdienst der Kliniken arbeitet im Prinzip nur außerhalb der Sprechstunden.
Zur Vermittlung von Terminen bei Fachärzten gibt es mittlerweile die Terminservicestelle der Kassenärztlichen Vereinigung, die den Patienten hilft, einen Termin bei einem Facharzt zu bekommen. Voraussetzung ist, dass man eine Überweisung mit einem Dringlichkeitsvermerk von einem Arzt, z.B. Hausarzt hat. Außerdem bieten viele Krankenkassen von sich aus eine telefonische Vermittlung von Facharztterminen an. Dafür benötigt man dann keine Überweisung.
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Info:
Terminservicestellen:
Kassenärztliche Vereinigung Hessen: 069400 50000
AOK: Tel. 0800 0111511
(allgemeine Beratung auf Spanisch: 0800 7242205)
TK: Tel. 0800 285858000
DAK: Tel. 040 325325800
Barmer Ersatzkasse: Tel. 0800 3331010